Lernumgebung

Unter Lernumgebung werden die äußeren Bedingungen des Lernens zusammengefasst. Dazu zählen vor allem die Lernmaterialien und Lernaufgaben sowie ihre jeweilige Gestaltung in einer Lernsituation. Zur Lernumgebung gehört darüber hinaus der sozio-kulturelle Kontext und die aktuelle Lernsituation. Die äußeren Bedingungen des Lernens haben Auswirkungen auf den Lernprozess selbst. In diesem Sinne sollte die Lernumgebung so gestaltet sein, dass sie eine Konzentration auf das Lernen erlaubt. Eine ständig wechselnde oder unwirtliche Umgebung gestaltet auch den Lernprozess schwierig. Wichtige Hilfsmittel sollten jederzeit erreichbar sein. Auch die Motivation, d.h. die Bereitschaft sich dem Lernen zuzuwenden, hängt von den äußeren Lernbedingungen ab. Erlebt man den Ort, an dem man lernt, als angenehm, so wird auch das Lernen selbst als angenehm empfunden.

Bei der Schaffung einer lernförderlichen Umgebung sind die individuellen Fähigkeiten, Motivationen, Interessen, Einstellungen und Ziele der Lernenden zu beachten (Konstituenten). In diesem Sinne sollte die Lernumgebung Lernaufgaben in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und unterschiedlicher Komplexität bereitstellen können.

Die Lernumgebung sollte weiterhin dazu geeignet sein, bestimmte didaktische Funktionen im Lehr-Lern-Prozess zu erfüllen. Hierzu gehören z.B. das Erwecken von Aufmerksamkeit und Neugier, das Benennen von klaren Zielvorstellungen des Lernprozesses und das Anknüpfen an bereits Gelerntes. Auch ist es wichtig, dem Lernenden Rückmeldungen über seine Lernentwicklung zu geben, die Absicherung des Gelernten durch gezielte Übung zu gewährleisten und die Anwendung des Gelernten auf neue Problemstellungen (Transferleistung) zu ermöglichen.

Die Lernumgebung sollte sich weiterhin an den situativen Kontext des Lernenden anpassen können. Statt Wissen lediglich zu reproduzieren sollen die Lernenden dazu befähigt werden, neues Wissen zu konstruieren. In diesem Sinne sollte die Lernumgebung die Kreativität der Lernenden unterstützen. Darüber hinaus ist die Lernumgebung so zu gestalten, dass mehrere Perspektiven des dargebotenen Sachverhalts wahrgenommen werden können. Durch das Aufzeigen alternativer Möglichkeiten soll die Reflexion der eigenen Sichtweise gefördert werden. Schließlich sollen die Lerninhalte erfahrungsbezogen sein, um in den Kontext des Alltags eingebaut werden zu können.

In diesem Sinne sollten Lernumgebungen auch ein gewisses Maß an Authentizität aufweisen, in dem sie sich an realen Sachverhalten orientieren. Die Lernsituationen sollten dementsprechend auch nicht zu einfach gestaltet sein, da nur komplexe Situationen es den Lernenden erlauben, Verknüpfungen zwischen verschiedenen Wissensbereichen zu erkennen bzw. herzustellen. Insofern das erworbene Wissen in realen Situationen angewendet werden soll, sollte der Lernkontext der realen Situation möglichst ähnlich sein.

Beim Lernen handelt es sich um einen interaktiven Prozess, an dem der Lehrer und die Lernenden, aber auch die Lernenden untereinander gleichermaßen beteiligt sind. Wissen wird sowohl individuell als auch im sozialen Austausch gebildet. Deshalb muss der soziale Kontext bei der Gestaltung der Lernumgebung berücksichtigt werden. Lernumgebungen sollten so konzipiert sein, dass sie Kooperation ermöglichen und die Kommunikation der am Lernprozess Beteiligten fördern. Die kooperative Arbeit an spezifischen Aufgaben verlangt von den Lernenden, dass sie ihre Lösungsvorschläge den anderen erklären. Dadurch werden Vorstellungen konkretisiert und Alternativen besser erkennbar. Die Kooperation optimiert somit das Verständnis für die zu bearbeiteten Probleme und erhöht das Spektrum an Lösungsmöglichkeiten.

Ein weiteres Merkmal der Lernumgebung bezieht sich auf die Informationsverarbeitung. Dabei wird davon ausgegangen, dass es allgemeine Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Lernens gibt, die bei der Konstruktion der Lernumgebung Berücksichtigung finden sollten. Hierbei sollte vor allem gewährleistet sein, dass der Lernende die Informationen adäquat verarbeiten kann, d.h. im Gedächtnis speichern kann, um sie situationsbezogen wieder abrufen und anwenden zu können.

Merkmale der Lernumgebung

Konstituenten:
Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten, Interessen, Einstellungen und Ziele des Lernenden

Didaktische Funktionen im Lehr-Lern-Prozess:
Erwecken von Aufmerksamkeit und Neugier, Information über den Lerninhalt mit klarer Zielvorstellung, Feedback/Beurteilung 

Situativer Kontext:
Wissenskonstruktion, Reflexion der eigenen Sichtweise, Alltagsbezug

Authentizität: 
Orientierung an realen Sachverhalten

Kooperation: 
Kommunikative Zusammenarbeit aller am Lernprozess Beteiligten, Offenlegung von Lösungsvarianten

Informationsverarbeitung: 
Ermöglichen adäquater Informationsverarbeitung und situationsbezogener Informationsanwendung

2. Lernmodelle

Die Gestaltung von Lernumgebungen basiert auf bestimmten Auffassungen von Lernen und Lehren, wobei je nach gewähltem Ansatz entweder eher der Lerngegenstand (Kognitivismus) oder eher der situative Kontext (Konstruktivismus) im Mittelpunkt steht. So betonen kognitivistische Ansätze, dass es bei der Konzeption der Lernumgebung vor allem darauf ankommt, den Lerngegenstand systematisch und organisiert zu präsentieren. Das Lehr-Lerngeschehen wird dabei als ein Prozess betrachtet, bei dem der Lehrende versucht, objektive Inhalte so zu übermitteln, dass der Lernende am Ende dieses Wissenstransfers den Lerngegenstand in ähnlicher Form besitzt wie der Lehrende.

Der Schwerpunkt liegt auf der Instruktion. Die präsentierten Wissensinhalte gilt es in ihrer Systematik zu verstehen und ihre Anwendung zu erlernen. Bei diesem Lernmodell werden klare Lernziele definiert. Die Rollenverteilung zwischen Lehrer und Lernenden ist ungleich, insofern die Lernenden sich eher in einer aufnehmenden und passiven Rolle befinden.

Gegenüber diesem Lernmodell tritt im Konstruktivismus der situative Kontext stärker in den Vordergrund. Lernen wird dann als ein Prozess aufgefasst, in dem Umweltbedingungen, persönliche Merkmale und die konkrete Situation in einer Wechselbeziehung stehen. Das Wissen ist nicht von Beginn an festgelegt, sondern wird im Lernprozess selbst hergestellt. Es gibt dementsprechend auch immer mehrere Lösungswege, wie es mehrere Sichtweisen eines Lerngegenstands gibt. Wie sich der Lernprozess gestaltet, hängt in einem hohen Maß vom Kontext ab, in den er eingebettet ist. Dem Lernenden kommt in diesem Modell eine aktive Rolle zu. Bei der Gestaltung der Lernumgebung ist deshalb auch nicht die Wissensvermittlung, sondern vielmehr seine Konstruktion und das Zusammenspiel von Wissen und Handeln zentral.

Das konstruktivistische Lernmodell hat vor allem in die „Cognitive Flexibility Theory“, die „Cognitive Apprenticeship“ und die “Anchored instruction“ Eingang gefunden. Diese Modelle heben jeweils einzelne Aspekte des konstruktivistischen Ansatzes hervor. So legt die „Cognitive Flexibility Theory“ ihren Schwerpunkt bei der Gestaltung von Lernumgebungen auf die Vermeidung von Simplifizierungen. Die Lernenden sollen stattdessen mit der realen Komplexität und sich in der Wirklichkeit zeigenden Unregelmäßigkeiten konfrontiert werden. Das erworbene Wissen soll vielschichtig sein und das Gelernte flexibel anwendbar. Insbesondere soll so auch das sogenannte „Schubladendenken“ vermieden werden.

Der „Cognitive Apprenticeship“- Ansatz orientiert sich an der Lehrlingsausbildung im Handwerk und stellt ähnlich wie die „Cognitive Flexibility Theory“ die Authentizität des Lerngeschehens in den Vordergrund, betont aber noch stärker seinen interaktiven und kooperativen Aspekt. Lernen findet in einem sozialen Kontext statt, an dem Meister und Lehrling gleichermaßen mitwirken. Das Grundprinzip dieses Ansatzes besteht darin, dass ein wechselseitiges Mitteilen der beim Problemlösen gemachten Erfahrungen zwischen dem Lehrenden (Experten) und dem Lernenden (Novize) stattfindet. Aufgrund dieser dialogischen Struktur können bereits Anfänger am Problemlösungsprozess aktiv teilnehmen und so relevantes Wissen in einem durch Authentizität gekennzeichneten Handlungskontext erwerben.

In ähnlicher Weise wie die „Cognitive Flexibility Theory“ und der „Cognitive Apprenticeship“- Ansatz spielt auch für die „Anchored instruction“ die Authentizität und Situiertheit der Lernumgebung eine entscheidende Rolle. Bei diesem Modell werden sogenannte „narrative Anker“ gesetzt und multimedial präsentiert. Dabei handelt es sich um spezifische Problemsituationen, die in eine zusammenhängende Geschichte eingebaut werden.So sollen die Lernenden zur Entwicklung von Lösungskonzepten motiviert werden. Ziel des Ansatzes ist dementsprechend vor allem die Anwendbarkeit von Wissen zu verbessern.


 

 

Gepr. Berufspädagoge, Aus- u. Weiterbildungspädagoge, Ausbildung der Ausbilder IHK